Meine Turnschuhe quietschen unter dem grauen Linoleum, als ich mit schnellen Schritten auf dem Mittelgang des riesigen Musikladens entlanggehe und schließlich in die CD-Abteilung einbiege. Jetzt verlangsame ich mein Tempo und schlendere mit den Händen in den Jackentaschen an den hohen Regalen vorbei, die vollgestopft sind mit den verschiedensten Alben und Songs.
Nur noch einmal, schwöre ich mir, als ich wahllos in eine Reihe greife und die erstbeste CD herausziehe. Die Beatles. Eher nicht mein Fall. Vorsichtig schiebe ich sie wieder in die Lücke zurück und nehme eine andere heraus. Kuschel-Rock. Nein danke. Bei der nächsten handelt es sich um klassische Geigenmusik und ich entscheide mich für diese. Es ist ja sowieso egal, was ich nehme, weil ich diese CD niemals anhören werde.
Ich gehe mit der CD zwischen zwei hohe Regale und schaue unauffällig zur Decke und in jede Ecke, ob sich irgendwo eine dieser verdammten Kameras versteckt. Natürlich ist da eine. Ich wende schnell meinen Blick ab und will in die nächste Reihe einbiegen, als mich dort ein kleiner blonder Junge anstarrt, der sich ängstlich an seiner Mutter festklammert. Bitte, als ob ich so erschreckend aussehen würde.
Ich drehe mich also schnell wieder um, lasse die CD-Abteilung hinter mir und wechsle zu den Ladekabeln und Kopfhörern. Na bitte, weit und breit keine Kamera. Schnell kratzte ich den Aufkleber mit dem Barcode herunter, der mich am Ausgang verraten würde und lasse die CD in meinem ausgefranzten Rucksack verschwinden. Und als ich schon mal bei den Kopfhörern bin, schiebe ich auch noch ein schwarzes Head-Set ein und mache mich dann auf den Weg zum Ausgang.
Als ich draußen angekommen bin und niemand etwas bemerkt hat, breitet sich ein zufriedenes Lächeln auf meinem Gesicht aus. Ich überquere die Straße und mache mich auf den Nachhauseweg.
Da ist es.Das Gefühl, das ich immer suche, wenn ich klaue: diese Euphorie, dass ich etwas geschafft habe, das ich mir vorgenommen habe. Was in meiner Familie von Versagern nicht möglich ist. Entweder betrinken sie sich und holen sich dadurch ihr Glücksgefühl oder sie beginnen, jemanden zu verabscheuen, der versucht, es anders zu machen. Wie mich.
Jahrelang habe ich gute Noten geschrieben, mich fein angezogen und gehofft, dass sie mich dadurch beachten würden, mich lieben würden. Doch jeden Tag, wenn ich von der Schule heimkam, lagen meine Eltern wieder mit etlichen Schnapsflaschen auf dem Sofa. Wenn sie schon betrunken genug waren, bemerkten sie nicht, wie ich mich in mein Zimmer schlich, doch manchmal waren sie einigermaßen nüchtern und schrien auf mich ein. Seitdem gab ich es auf, das kleine brave Mädchen zu spielen. Jetzt ziehe ich mich dunkel an, habe mir ein ziemlich schäbiges Zimmer gemietet und bringe mich mit Gelegenheitsjobs durch. Und natürlich klaue ich.
Das ist schon fast zwanghaft. Immer, wenn dieses Gefühl von Erfolg und trügerischem Wohlbefinden verschwindet und Gewissensbisse seinen Platz einnehmen, so wie jetzt, will ich wieder in diesen Laden. Will es wieder tun und noch einmal spüren, wie es sich anfühlt, etwas geschafft zu haben. Ich will noch einmal spüren, dass jemand stolz auf mich ist, und wenn nur ich selbst dieser Jemand bin.
Auch wenn ich mir vorgenommen habe, dass es diesmal das letzte Mal war, weiß ich genau, dass ich spätestens morgen in einem anderen Laden wieder klauen werde.
Text // Maria Widmann