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Galaktischer Jetsetter?

Wie fühlt sich Schwerelosigkeit an? Wie sieht die Welt von oben aus? Wovor haben Weltraumfahrer Angst? Den Kopf voller Fragen komme ich an einem verregneten Dezemberabend im Körber Forum an. Ich habe wenig Zeit, denn der angehende Raumfahrer Alexander Gerst ist ein begehrter Mann. Ein Interview hier, eine Fragerunde da. Gerade aus Moskau gelandet, kommt er um die Ecke gebogen in seinem – huch? – Trainingsanzug für Astronauten, der, wie er später schmunzelnd kommentieren wird, „schön blau und europäisch ist“.

Nettes Lächeln, fester Händedruck und schon geht’s los. Alexander Gerst ist Astronaut der „European Space Agency“, kurz ESA, also der Europäischen Raumfahrtbehörde. Nächstes Jahr im Mai wird er als elfter deutscher Astronaut für ein halbes Jahr zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Dafür musste sich der Geophysiker gegenüber mehr als 8.400 Interessenten durchsetzen. Mathe, Merktests, psychologische, kognitive, konditionelle Prüfungen – den Bewerbern blieb nichts erspart.

Gerst erzählt, dass er sich sehr wohl bewusst war, dass die Wahrscheinlichkeit, genommen zu werden, relativ klein war, doch er „musste dem Traum mindestens einmal eine Chance geben.“ Schon als kleiner Junge wollte er nämlich ins All. Sein Großvater war Hobbyfunker, der auch Signale zum Mond schickte. Ein Schlüsselerlebnis war, als der kleine Alexander einmal auch in ein solches Gerät sprechen durfte und nach einigen Sekunden die eigenen Worte verzerrt hörte und wusste: „Die warenverzaubert vom Weltraum war. Es ist vermutlich diese bedingungslose Faszination, die Alexander Gerst unter den zahlreichen Bewerbern zu etwas Außergewöhnlichem machte. Und seine Fähigkeit, in Extremsituationen zu bestehen. Einen Beweis dafür lieferte der Geophysiker, der eigentlich Vulkane erforscht, auf seiner eisigen Mission in der Antarktis im Jahr 2007.

Auf dem 4.000 Meter hohen „Mount Erebus“, dem südlichsten aktiven Vulkan der Welt, war er manchmal wochenlang auf sich allein gestellt. Drei Jahre später wurde er, aufgrund tatsächlich auf dem Mond!“ An dem begeisterten Grinsen des heute 36-Jährigen lest sich ablesen, dass er seit diesem Zeitpunkt völligseiner Forschung zu diesem Thema, an der Hamburger Universität promoviert. Als er gerade seine Doktorarbeit fertig stellte, kam der Anruf mit der Zusage von der ESA.

Mit nichts weiter als einem Zelt und Forschungsgeräten bewaffnet, an einem der lebensfeindlichsten Orte der Welt? – Da wirkt eine so kontrollierte Weltraum-Mission fast banal. Ob er trotzdem Angst hat?

© h20, ESA (2), fotolia.com

„Nö.“ Er lächelt und wirkt entspannt, so, als wäre das Ganze nicht spektakulärer als ein Spaziergang im Vorgarten. Vor allem freue er sich auf die Mission. Darauf, die Welt mal von so einer riesigen Entfernung aus betrachten zu können.

„So etwas ist für die Menschen ganz wichtig. Sie bekommen eine neue Perspektive auf unseren Planeten und merken, dass er in diesem riesigen schwarzen Universum eigentlich sehr verletzlich ist.“ Und dann, ruhig, fast lässig erzählt Gerst, dass die Raumfahrt auch Nebenwirkungen mit sich bringt: In der Schwerelosigkeit verschieben sich die Funktionsbereiche des Gehirns. Das Blut staut sich im Gehirn, der Druck steigt. Das bedeutet: Im Prinzip steht das Hirn durchgehend unter den Umständen eines Schlaganfalls. Mediziner wollen deshalb mit den Erkenntnissen aus dem All neue Trainingsprogramme für Schlaganfall-Patienten entwickeln. Ich schlucke. Immer noch keine Angst? Warum denn überhaupt das ganze Risiko?

„Ich werde dort oben Experimente machen. Zum einen für die Medizin, zum anderen allerdings auch für ganz andere, vor allem technische Bereiche.“ Ebensolche Experimente haben uns in der Vergangenheit zahlreiche Innovationen beschert. So wären Navigationsgeräte, gefäßerwei-ternde Medikamente und vieles mehr ohne die Raumfahrt heute nicht denkbar.

Während des halben Jahres im Weltraum wird Alexander Gerst ca. 60 Experimente durchführen. Ist das wirklich notwendig, dass man dafür derartige Risiken auf sich nehmen muss? Der angehende Astronaut lacht: „Also, die Dinosaurier haben’s nicht gemacht …“ Ist denn am Astronauten-Sein überhaupt alles so, wie man es erwarten würde? Gerst überlegt: „Ja, eigentlich schon. Nur so viel Technik hätte ich nicht erwartet.“

Während seiner dreijährigen Ausbildung muss der Azubi-Astronaut so einiges lernen: Es beginnt alles mit einer Art „Astronauten-Grundschule“, den „Basis-Seminaren“. Hier bekommt Gerst so einiges an technischen Grundlagen vermittelt, muss allerdings auch ganz anderes lernen, wie zum Beispiel Russisch. Er und die Crew werden während der Mission nämlich auch Anweisungen vom Kontrollzentrum in Moskau erhalten. Ist eben wirklich ein internationales Projekt, so eine Raumstation im All. Und so kommt es, dass Gerst in Köln, Houston und in Moskau ausgebildet wird. Und eine Wohnung in jeder der drei Städte hat – der „galaktische Jetsetter“ fühlt sich überall zu Hause.

Und dann auf der Raumstation, so weit entfernt von allem, was man kennt, fühlt man sich da nicht einsam? Man hockt ein halbes Jahr auf engstem Raum mit den anderen Astronauten herum, gibt es keine Reibereien?

Aber auch bei dieser Frage – keine Spur Verunsicherung. „Nein, die Crew ist wirklich ein tolles Team. Alle Wiederkehrer meinten, da oben hätten sie die ‚Zeit ihres Lebens’ gehabt. Ich mache mir also keine Sorgen. Außerdem werden wir jaauch gemeinsam ausgebildet und verbringen schon jetzt eine wunderbare Zeit miteinander. Oft kochen wir zusammen. Wir sind wie eine kleine Familie.“

Ach ja, zum Thema kochen und essen … wie schmeckt gefriergetrocknetes Astronauteneis? Wie sieht es generell mit der Verpflegung aus? „Das Astronauteneis ist Fake. Wir bekommen richtig gutes und gesundes Essen. Das ist zwar auch alles gefriergetrocknet, da es so leichter wird, aber mit ein bisschen heißem Wasser kommen da richtig schmackhafte Mahlzeiten zusammen.“Deutschland schickt einen wirklich sympathischen und humorvollen Mann ins All. Der überhaupt nicht abgehoben, arrogant oder elitär wirkt, sondern für seine Mission brennt und Normalsterblichen die Faszination Weltraum näher bringt. Im Mai 2014 geht es los, bis  dahin wird Alexander Gerst noch eine Menge lernen, Notfallsituationen üben und weiterhin zwischen den Kontinenten jetten. Bis er dann ganz abhebt – guten Flug!

ISS Raumstation

Nach drei Jahren Vorbereitungszeit wird Alexander Gerst als einer von sechs Astronauten an den ISS-Expeditionen 40 und 41 teilnehmen. Er soll ein halbes Jahr lang auf der Internationalen Raumstation ISS leben und forschen. Die ESA ist eine von fünf Partnerorganisationen, die an der Internationalen Raumstation ISS beteiligt sind. Der Aufbau der Raumstation begann 1998 und wurde 2010 abgeschlossen. Sie kreist in etwa 400 Kilometern Höhe alle anderthalb Stunden um die Erde.

www.dlr.de

Text // Léa Dunst; Mitarbeit: Denise Kamp

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