Dieser Artikel von Isabel Barquero ist im Rahmen eines m80-Workshops entstanden.
SPAST, SPACKO ODER PENNER
Wenn sich Jugendliche streiten, fallen oft Schimpfwörter.Auf deutschen Schulhöfen heißt es dabei auch:„Du Jude“. Das zeigen eine Befragung von Lehrkräften an Berliner Schulen und eine Diskussionsrunde am 13. März während der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Freiburg. Auch im Breisgau ist Antisemitismus damit Realität. Ein Betroffener berichtet von Diskriminierung an Freiburger Schulen.
ANTISEMITISMUS // SHOAH
Unter Antisemitismus versteht man die Gesamtheit judenfeindlicher Äußerungen, Tendenzen, Haltungen und Handlungen unabhängig von religiösen, rassistischen, sozialen oder sonstigen Motiven. Antisemitismus zeigt sich in verschiedenen Formen, er ist wandelbar und manchmal nicht auf den ersten Blick zu erkennen.
Shoah oder Holocaust nennt man die Verfolgung und den Massenmord an sechs Millionen Juden im Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 in Deutschland.
Daniel G. ist Jude. Im Alter von sechs Jahren zog er mit seiner Familie, die aus der Sowjetunion kommt, nach Freiburg. Seine erste Erfahrung mit Antisemitismus machte der gebürtige Israeli in der ersten Klasse an einer Grundschule in Freiburg-Weingarten.Im Religionsunterricht fiel die Frage: „Bist du evangelisch oder katholisch?“ Ohne groß darüber nachzudenken, antwortete Daniel, er sei jüdisch.Erstaunt fragte ein Mitschüler nach: „Du bist Jude?“ Daniel bejahte. Noch im selben Moment saß der Junge auf ihm und ohrfeigte ihn.
Daniel war damals zu jung, um die Situation richtig einzuordnen. Doch eins war ihm klar: Seine jüdische Religion darf er so schnell nicht mehr preisgeben. Nach dem Übergriff stellte Daniel sich auch zum ersten Mal die Frage: Was unterscheidet mich von anderen Kindern? „Es gab damals keine Interaktion. Ich hatte keine Ahnung, welchen Religionsunterricht die christlichen oder muslimischen Kinder besuchen.Sie hatten auch keine Ahnung, was ich lerne“, äußert sich der heutige Student. Wie prägend das für ihn war, merkte er erst im Nachhinein.
In der Grundschulzeit erlebte er weitere Ausgrenzung: Beim Fußballspielen wurde Daniel ausgeschlossen. „Juden dürfen hier nicht mitspielen.“Ab der fünften Klasse ging Daniel auf ein Freiburger Gymnasium. Dort beleidigte man ihn nicht mehr für seine Herkunft. Dennoch erlebte er Antisemitismus, erinnert er sich. Ständig wurde er nach seiner Meinung und Haltung zu politischen Themen in Israel gefragt. „Ich war zum einen Nahost-Experte, zum anderen hätte ich auch eine Karriere als Rabbiner anstreben können“, sagt Daniel und lacht. Früher fand er das nicht lustig.Verärgert ist Daniel über den schulischen Lehrplan ab der 10. Klasse. „Wir haben selten über das Judentum im Unterricht gesprochen.Thema waren nur die Shoa oder der Nahost-Konflikt.“ Kein einziges Mal sei über das heutige Leben der Juden gesprochen worden. Klischees kenne dennoch jeder. Bei einem Gedenkstätten-Besuch fragte ihn ein Mitschüler, wieso er keinen Mantel trage und keine Schläfenlocken habe.„Für mich war er kein Antisemit, aber er hatte bestimmte Vorstellungen von Juden. Da frage ich mich, woher diese stammen. Das Thema fehlt an deutschen Schulen“, sagt Daniel.
Was der Student berichtet, schlug zuletzt in Deutschland hohe Wellen. Vorfälle auf Berliner Schulhöfen schreckten auf. Beleidigungen mit religiösem Hintergrund wie „Du Jude“ sind laut einer Befragung von Berliner Lehrkräften „total gängig“. Oft können Kinder die Tragweite solcher Beleidigungen nicht einschätzen, sagen Experten.Politiker und jüdische Verbände verurteilen Beschimpfungen als Jude. Sie fordern Maßnahmen. Unionsfraktionschef Volker Kauder will an deutschen Schulen eine Meldepflicht für judenfeindliche Vorfälle einführen. „Gerade bei diesem Thema muss es heißen: null Toleranz“,sagte der CDU-Politiker in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Jeder Einzelfall an den Schulen müsse konsequent geahndet werden.
Ausgelöst hatte die Debatte der Fall eines jüdischen Mädchens, das an einer Berliner Grundschule angegangen wurde. Ein Mitschüler soll gedroht haben, sie umzubringen, weil sie nicht an Allah glaube. „Das ist kein Einzelfall“, sagt Romina Wiegemann, Bildungsreferentin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment in Berlin. Sie arbeitet zum Thema Antisemitismus und Diskriminierung und bietet Bildungsangebote für Prävention und Opferschutz an. „Antisemitismus wird von den Lehrern oft nicht erkannt, er muss Bestandteil der Lehrerausbildung sein.“Es sei zwingend notwendig, schon während der Ausbildung an Uni und Pädagogischer Hochschule über Antisemitismus aufzuklären.
Renate Holub-Gögelein, stellvertretende Amtsleiterin für Schule und Bildung der Stadt Freiburg, ist über Daniels Geschichte empört. „Das dürfen wir nicht dulden.“ Eine städtische Arbeitsgruppe,die finanziell unterstützt wird, soll nun für Aufklärung und Verbesserung sorgen.„Das alleine reicht nicht aus“, sagt Anna Nedlin-Lehrer, ehemalige Leiterin des Jugendzentrums der Jüdischen Gemein dein Freiburg. Sie ist sich sicher: Mit Projektwochen gegen Antisemitismus ist es nicht getan. „Lehrer sind für Konfliktmanagement nicht ausgebildet oder trauen sich oft nicht.“Auch Eltern sollten in die Aufklärung mit einbezogen werden. „Das Bild von Juden muss in Deutschland wieder normalisiert werden.“
Auch in der Musikszene ist Judenfeindlichkeit präsent. Rapper Kollegah und Farid Bang wurden mit dem Musikpreis Echo ausgezeichnet, obwohl sie antisemitische Zeilen wie „mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ rappten. Seitdem wird über Antisemitismus im deutschen Sprechgesang diskutiert. Schlimmer als Antisemitismus findet Daniel Philosemitismus, also grundsätzlich eine positive Haltung zum Judentum. Auch damit machte er während der Schulzeit Erfahrungen: Er wurde von einer Lehrerin mit „Schalom“ begrüßt. „Aber genau das wollte ich nicht. Ich wollte ein Guten Tag, ein Hallo, aber kein Schalom“, beschwert er sich. Außerdem sagte sie,dass sie es gut findet, dass Daniel Jude ist. Israel sei das einzige Land, das den Arabern zeige, wo es langgeht. „Wenn Juden zu Freunden gemacht werden, um gegen Araber zu hetzen, nein danke. Das hat mich sehr schockiert“, so Daniel. Für ihn sei Antisemitismus und Philosemitismus das selbe. „Wenn aus dem Jüdisch sein ein Ding gemacht wird, das finde ich problematisch.“
Auch die Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 war für Daniel ein unangenehmes Thema. „Jeder hatte plötzlich eine Meinung zu Vorhäuten.“ Er musste sich immer dafür erklären, obwohl er es nicht wollte, aber die Lehrer verlangten es. Im Alltag gibt es auch positive Beispiele: Nach der Zurückweisung beim Fußball versuchte sich Daniel im Kampfsport. Dort wurden alle Kinder, egal welcher Abstammung oder Religion, offen angenommen. „Da habe ich erlebt, wie es auch gehen kann.“ Integrationsarbeit durch Sport. So einfach kann es sein.
Text // Isabel Barquero